Wohnung ist ein Menschenrecht!
Erklärung der Landesarmutskonferenz Niedersachsen, 28.11.2018
Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Die eigene Wohnung, das eigene „Zuhause“ ist der Ort, der Schutz, Privatheit, Sicherheit und freie Lebensgestaltung ermöglicht. Einen sicheren Ort, eine eigene Wohnung zu haben, gehört
zu den Grundbedürfnissen des Menschen.
Menschenwürdiges Wohnen ist ein allgemeines Gut. Es muss für alle verfügbar sein und niemand darf davon ausgeschlossen werden. Wohnen ist als
Menschenrecht im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenso wie in der Europäischen Sozialcharta verankert. Auch das
Grundgesetz sichert mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip die materiellen Voraussetzungen zu, die für physische Existenz und ein Mindestmaß an Teilhabe am
gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
In Niedersachsen fehlen 110.000 bezahlbare Wohnungen
Dass dieses Recht auf Wohnen für alle Menschen eingelöst wird, ist nicht
selbstverständlich. In vielen Städten und Regionen Niedersachsens ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Unter den verschärften Marktbedingungen leiden zuerst Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen, Menschen mit Beeinträchtigungen und Geringverdienende. Sie können im Konkurrenzkampf um verfügbaren Wohnraum aufgrund fehlender sozialer Stabilität, formellen und informellen Hürden in (Verwaltungs-)Abläufen, sowie aufgrund von Stigmatisierungen nur schwer bestehen. Aber auch Familien mit mittleren Einkommen sind inzwischen besonders betroffen. Sie verdienen zu viel für eine Sozialwohnung, aber zu wenig, um sich eine Wohnung zu marktüblichen Konditionen mit familiengerechtem Umfeld, mit Schulen, Kitas, medizinische Fachkräfte, Spielplätzen und Einkaufsmöglichkeiten leisten zu können. Insbesondere in den niedersächsischen Großstädten leiden viele Menschen unter einer kaum noch tragbaren Belastung durch hohe Mieten. In der Sozialwissenschaft gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens als problematisch, weil dann nur relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung verfügbar bleibt. Bei den Mietbelastungsquoten hat sich die Lage in Teilen Niedersachsens dramatisch zugespitzt: 44 Prozent allerEv. Fachverband Wohnung und Existenzsicherung Haushalte in Oldenburg müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens allein für ihre Miete (brutto-kalt) ausgeben. In Hannover sind es 43,3 Prozent, in Braunschweig 41,1 Prozent, in Osnabrück 40,4 Prozent und in Göttingen 35,4 Prozent. Während die Anzahl der Haushalte in Niedersachsen in der jüngeren Vergangenheit zugenommen hat, erlahmte parallel dazu der Bau von Wohnungen. Die Anzahl der fertiggestellten Wohnungen hat sich in den Jahren zwischen 2001 und 2009 niedersachsenweit mehr als halbiert. Zuletzt gab es zwar einen aufstrebenden Trend, allerdings wurde noch nicht wieder das Bauniveau des Jahres 2004 erreicht. Diese große Baulücke der Jahre 2005 bis 2015 ist längst auf die regionalen Wohnungsmärkte durchgeschlagen. Es müssten also wesentlich mehr Wohnungen gebaut werden, um diese Lücke auszugleichen.
Und klar ist auch: Nicht aller Wohnraum, der derzeit geschaffen wird, ist auch bezahlbarer Wohnraum. Insgesamt fehlen in Niedersachsen heute 110.000
bezahlbare Wohnungen.
Der Markt allein kann es nicht richten – das Land ist gefordert
Die Politik in Niedersachsen hat dieser Entwicklung zu lange zugeschaut und
ihren Verfassungsauftrag vernachlässigt: „Das Land wirkt darauf hin […] dass die Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum versorgt ist.“ (Nds. Landesverfassung, Art. 6a.) Das Land muss dafür sorgen, dass genügend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Ein wesentlicher Baustein hierfür ist die
Bereitstellung von Sozialwohnungen.
Niedersachsenweit gibt es aber immer weniger Sozialwohnungen. Ihre Zahl sank von knapp 97.000 im Jahr 2012 auf 86.000 im Jahr 2016. In den kommenden Jahren wird sich der Rückgang noch beschleunigen, da bei vielen
Wohnungen die Sozialbindung ausläuft. In den Jahren 2016 bis 2020 werden rund 31.100 Wohnungen aus der Bindung fallen, in den darauf folgenden fünf
Jahren weitere 21.000. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, gibt es in absehbarer Zeit überhaupt keine Sozialwohnungen mehr im Land.
Der zweite wesentliche Baustein auf Landesebene ist eine Landeswohnungsbaugesellschaft. Diese ist ein wichtiges Steuerungsinstrument um den Wohnungsmarkt direkt zu beeinflussen. Die öffentliche Hand kann hier den Mietpreis selbst bestimmen und für die Menschen dauerhaft bezahlbaren Wohnraum anbieten. Jedoch wurde im Jahr 2005 die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft. Bis dahin befanden sich über die ImmobilientochterEv. Fachverband
Wohnung und Existenzsicherung „Niedersächsische Landesentwicklungsgesellschaft (NILEG)“ der Landesbank Nord/LB 30.000 Wohnungen im Landesbesitz. Diese waren vor allem in Ballungsräumen wie Hannover, Braunschweig und Osnabrück zu verorten – also
in regionalen Wohnungsmärkten, die heute extrem angespannt sind. Für die Mieterinnen und Mieter war der Verkauf eine Fehlentscheidung mit teilweise
schwerwiegenden Folgen.
Forderungen der Landesarmutskonferenz:
Angesichts der dramatischen Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt fordert die LAK Niedersachsen die Landesregierung auf, schnell zu handeln und
folgende Maßnahmen zu ergreifen:
- Die Förderung des sozialen Wohnungsbaues muss massiv ausgeweitet werden. Der Bestand an Sozialwohnungen muss mindestens um 100.000 angehoben werden. Vorrangige Empfänger der Fördermittel sollten öffentliche Wohnungsunternehmen und Genossenschaften
sein. Die Sozialbindung sollte unbefristet sein. - Das Land muss mit einer eigenen Landeswohnungsbaugesellschaft wieder bezahlbare Wohnungen für Normalverdienende anbieten. Insbesondere in Regionen mit angespanntem Mietmarkt muss das Land das Wohnungsangebot auch aus eigener Kraft erhöhen.
- Wohnung ist ein Menschenrecht. Wohnungslosigkeit darf nicht länger hingenommen werden. Jeder Wohnungslose hat ein Recht auf eine angemessene Wohnung. Solange dieses Recht nicht umgesetzt ist, sind Unterkünfte in ausreichender Anzahl und guten Wohnbedingungen vorzuhalten. Die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe beschriebenen Mindeststandards sind einzuhalten. In den Unterbringungseinrichtungen sind begleitende Hilfen mit einem fachlich ausreichenden Personalschlüssel einzurichten. Das Land muss Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit flächendeckend
finanzieren. - Gutes Wohnen beschränkt sich nicht nur auf die eigenen vier Wände.
Auch das jeweilige Umfeld in der Gemeinde und im Quartier hat entscheidenden Einfluss auf die Wohnqualität, die Sicherheit, die Lebensqualität, und die Teilhabechancen der Menschen. Entscheidend hierfür ist die umfassende Förderung von sozialer Quartiersarbeit. - Gemeinschaftliche Wohnformen sind durch gezielte Beratung und die Verbesserung des Matchings von möglichen Angeboten und der Nachfrageseite zu fördern. Rechtliche und bürokratische Hürden sind zu minimieren und bestehende Fördermöglichkeiten, z.B. KfW/NBank auszubauen.Ev. Fachverband Wohnung und Existenzsicherung
- Auf Bundesebene muss die Landesregierung sich für eine wirksame Mietpreisbremse ohne Ausnahmeregeln einsetzen. Das Wohngeld und
die Kosten der Unterkunft müssen jährlich an die lokale Energiekostenund Mietpreisentwicklung angepasst werden. Die Wohngemeinnützigkeit muss wieder eingeführt werden. Durch die Zurückdrängung prekärer Beschäftigung, die Stärkung von Tarifverträgen und die Rückkehr zu lebensstandardsichernden Renten müssen die geringen Haushaltseinkommen verbessert werden.
Hannover, 28.11.2018
Die Unterzeichnenden:
Asphalt, AWO, Caritas, Diakonie, DGB, Ev. Fachverband Wohnungslosenhilfe, Gruppe Gnadenlos Gerecht, Landesarmutskonferenz, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Nds. e.V., SoVD, Verdi.
V.i.S.d.P. Klaus-Dieter Gleitze, LAK Niedersachsen
c/o LAG FW, Grupenstr. 4, 30159 Hannover
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